folgender Beitrag erschien am 22. März in der Leipziger Volkszeitung:
Tobias Münscher-Paulig befürchtet aufgrund der Corona-Auswirkungen Kürzungen in der Kinder- und Jugendarbeit
Von Mathias Schönknecht
Tobias Münscher-Paulig spricht von gebrochenen Lebensläufen. Der Diakonie-Chef für Delitzsch-Eilenburg warnt bereits heute vor den Auswirkungen, die die Pandemie auch nach ihrem Ende auf Kinder und Jugendliche haben wird und was droht, wenn dieser Entwicklung nicht entgegentreten wird. Gerade vor dem Hintergrund der erneuten Schließungen von Kindertagesstätten und Schulen ab dem heutigen Montag sieht er die Lage als angespannt.
Das Diakonische Werk Delitzsch-Eilenburg bietet mit dem St. Georg Hospital, dem Pflegeheim in Bad Düben, Tagespflegen und Sozialdiensten nicht nur Hilfe für ältere Menschen, es betreibt auch Kindertagesstagesstätten und verschiedene Einrichtungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Nach den Erfahrungen von Münscher-Paulig werde in diesen Bereichen Geld eingespart, wenn es in anderen finanzielle Aufstockung bedarf. Und infolge der Pandemie werde es viele Löcher im sächsischen Haushalt geben. Anstatt die Gelder für die Kinder- und Jugendarbeit zu kürzen, müsste sie stattdessen mindestens das Doppelte der heutigen Mittel erhalten, sagt Münscher-Paulig.
Die Diakonie hat die Pandemie-Auswirkungen in der Region um Delitzsch mit am deutlichsten zu spüren bekommen. In der zweiten Welle war das St. Georg-Hospital an der Halleschen Straße in Delitzsch für etwa acht Wochen in einer durch das Gesundheitsamt verordneten Absonderung, was einer Schließung nahe kommt. Die Hälfte der Bewohner und Bewohnerinnen sowie 28 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hatten sich mit dem Coronavirus infiziert. „Es war gespenstisch“, sagt Münscher-Paulig. Letztlich seien sechs Todesfälle auf Corona zurückzuführen gewesen.
In den Griff bekommen habe die Diakonie die Situation mit einem regelmäßigen Testen, bevor es dazu Verordnungen gab, und dem Tragen von medizinischen und FFP2-Masken. Die Infektionszahlen stabil zu halten werde weiterhin nur auf diesem Weg gelingen – und zusätzlich mit Impfen. Bei all der Dramatik, die Münscher-Paulig miterlebt hat, sieht er den Impfansatz dennoch woanders. Denn klar ist: Das Virus wird von außen in die Einrichtungen wie Altenheime getragen. Ihre Bewohner haben ein zu geringes Bewegungsprofil.
Viel früher hätten beispielsweise Erzieher, Lehrer und Schulsozialarbeiter an der Reihe sein müssen. Denn ein Leben finde aufgrund des Wechsels zwischen offenen und geschlossenen Einrichtungen in den Schulen und Kitas nicht mehr statt. Dadurch gehen nicht nur soziale Kompetenzen der Kinder verloren, nicht wenige von ihnen werden auch nachhaltig traumatisiert. Es werden vor allem nach der Pandemie mehr Möglichkeiten gebraucht, die Zeit aufzuarbeiten. „Was für eine Gesellschaft bekommen wir sonst?“, fragt Münscher-Paulig.
Auch wenn das Landratsamt Nordsachsen die Einrichtungen bisher gut durch die Krise begleitet habe, wäre die Annahme, im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe kürzen zu können, in den Augen des Diakonie-Chefs ein mindestens genauso großer Trugschluss wie die Erkenntnis in der ersten Welle, dass Nordsachsen aufgrund der getroffenen Maßnahmen gut dastand. Im Landkreis trat erst spät ein Fall auf. Etwas mehr als ein Jahr später ist die Lage eine andere.